Ötztaler Radmarathon 2013

25. August 2013. 4:00 Uhr Morgens. Der wunderbar heiße und radfahrerfreundliche Sommer hat sich über Nacht verabschiedet. Wie das Amen im Gebet. Justament vor dem Start des Ötztaler Radmarathons 2013. Who cares. Ich bin schon mal munter. Also gehe ich frühstücken. Die Entscheidung trotz des Sauwetters zu fahren war bereits längst gefallen. Ein DNS stand gar nie zur Diskussion.

Es ist 6.00 Uhr. Noch 45 Minuten bis zum Start. Es regnet stark. Ich rolle zum Start. Nach ca. 100 Metern bin ich bereits nass. Als alter Fuchs weiß ich wo ich mich aufstelle. Diesmal ist es schwieriger. Blockieren jede Menge Regenschirme nicht nur die Sicht, sondern auch das Weiterkommen. Man stelle sich an die 3000 Radfahrer und nochmals so viele persönliche Betreuer vor. Weibliche. Der Mann fährt. Die Frau hält trocken. Rollenverteilung beim Ötztaler. Seit Jahren. Von den ca. 2.300 klassifizierten Fahrern waren 83 Frauen.

6.45 Uhr. Es geht los. Die knapp 40 km von Sölden nach Ötz werden halbwegs diszipliniert gefahren. Danke an alle rund um mich. Es regnet immer noch. Entlang der Strecke viele Zuseher. Die zwei Kehren kurz vor Ötz fahre ich in Super-Slow-Motion. Bremsleistung bereits jetzt bei knapp Null. Die Straße ist ein Bach.

Knapp 41 Minuten brauche ich bevor ich rechts in den Berg abbiege.  Es geht 18 km hinauf. Und es regnet immer noch. Das bestens gepflegte Rad war einmal. Die Kette schmiert schon lange nicht mehr. Es ist laut. Entweder ist das mein Rad, oder es sind die anderen Räder. Dass es immer noch regnet brauche ich nicht zu erwähnen. Aber es geht bergauf. Das wärmt von innen. Meine Kleidung bereits um 5 kg schwerer. Voll durchnässt. Ich spüre das Wasser am Steißbein. Je näher ich der Waldgrenze komme, desto näher komme ich auch an den Schnee. Dieser hat sich bis ca. 2.200 Metern heruntergewagt. Das Kühtai liegt auf 2.000 Metern. Es hat knapp 3 Grad. Zum Glück Plus. Ich habe Mühe beim Fotografen zu Posen. Mir ist kalt. Den Pass erreiche ich noch unter 2 Stunden. Grenzgenial. Oben labe ich mich das erste Mal. 

Es folgt die Abfahrt nach Kematen. Weiterhin Regen. Starker Regen. Bäche kreuz und quer über die Straße. Viehsperren. Und mein Nacken samt Kiefer starr. Ich kann mit nicht umdrehen um zu sehen, ob ich verfolgt, überholt oder überfahren werde. Und ich zittere. Meine Arme und meine Beine sind unkontrollierbar. 

Von Kematen nach Innsbruck fahre ich in einen kleinen Gruppe mit gutem Tempo.  Also Kette rechts und vollgas. Es geht durch Völs. Es geht durch Innsbruck. Und der Regen ist auf einmal warm. Im Vergleich zum Kühtai. Ich stelle mir vor in einem Sommergewitter zu sein. Die Motivation steigt.

Es geht hinauf nach Schönberg. Ich bin immer noch allein. Wo sind sie denn alle. Vorbei an der Abzweigung nach Mutters.  Es geht unter der Europabrücke durch. Mittelschwer bergauf. Mein Puls immer konstant unter 160. Hier kann man gerne überpacen. Ach ja. Es regnet immer noch.

Richtung Matrei will ich essen. Der Himmel ist jetzt nicht mehr grau. Kleine weiße Fenster sind sichtbar. Und je näher ich mich dem Brenner nähere auch blaue. Wir fahren auf eine größere Gruppe auf.  Gries am Brenner. Die Sonne blinzelt durch. Die letzten 2 Steigungen hinauf auf den Brenner. Hier stehen Betreuer über Betreuer. Noch mehr als am Kühtai. 

Die Labe hinterm Brenner nehme ich mir zur Brust. Nudelsuppe. Ein paar Stück Kuchen. Der Körper hat längst schon auf Durchkommen umgeschaltet. Es geht jetzt ums Überleben. 120 km sind passè. 110 km warten. Mit Jaufenpass und Timmelsjoch.

 

Eigentlich beginnt der Ötztaler Radmarathon am Brenner erst so richtig. Das Vorher ist nur Geplänkel. Ein Kühtai gleich zum Frühstück kann nicht weh tun und eine Gruppenfahrt auf den Brenner ebenso nicht. Diesmal war es aber anders. Die vier Stunden Regen haben mir, meiner Kleidung und meiner Princess of Pain schon mächtig zugesetzt. 

Vom Brenner geht es die Bundesstraße hinunter über Gossensass nach Sterzing. Vereinzelt finde ich ein paar Radfahrer, welche ich mein Velo fest am Unterlenker haltend mit Kette rechts einhole und überhole. Das Triathlon Training lässt grüßen. 

Die Temperatur hat zwischenzeitlich frühlingshaftes Niveau erreicht und die Sonne wärmt die geschundenen Muskeln. Es geht hinein nach Sterzing. Die Zuseher hier stehen in Massen. Ob die wissen, was wir bis hier durchgemacht haben? Die Carabinieri sperren alle Zu- und Ausfahrten vorbildlich ab. Mit mehr als 100 Umdrehungen die Minute pflüge ich durch die Fuggerstadt. Wie im Rausch und unter Drogen.

Wir biegen ins Ratschingstal ein. In ein paar Kilometern beginnt der Anstieg zum Jaufenpass. 

Kurz vor dem Anstieg noch aufmunternde Worte von den Zuschauern. Ich überquere die Datasport Zeitnehmungsmatte. Von hier sind es 14 km bei durchschnittlich 10%. Natürlich nehme ich wieder Tempo heraus. Ich bin nicht einer der voll in den Berg fährt. Fahren kann. Ich muss meinen Rhytmus finden. Nach ca 1 km habe ich diesen. Ich bleibe stehen. Mir ist zu heiß. Ich entledige mich der dünnen Regenjacke und mache mir auch die Ohren frei.

Der Jaufenpass ist grundsätzlich kein schwerer Pass. Trotzdem hat er so seine Tücken. Die ersten Kilometer sind voll in der Sonne. Und die heizt derzeit ganz schon ordentlich ein. Lange Rampen wechseln sich mit steileren Kehren ab bis man Kalch erreicht. Von hier windet sich die Straße dann durch den Wald und wird verhältnismäßig flacher. An die 7 – 8%.  So werden die letzten 600 Höhenmeter und 9 Kilometer zur Tortur. Ich schlängle ich mich hoch. Immer knapp um die 10 bis 11 km/h. Wohl typisch für dieses Rennen.

Ich kann den einen oder anderen doch überholen und werde auch öfters überholt. Oberhalb der Baumgrenze das übliche Bild. Ich sehe die gesamte noch zu fahrende Strecke. Und die Labe. Diese erreiche ich. Nudelsuppe. Cola. Kuchen. Etwas Trockenobst und ein Besuch beim Mavic Servicewagen.  2 Kehren, 1 Fotograf und die Zeitmatte noch. Nach 6h 15 erreiche ich den Jaufen. Das ist immer noch just in time.

Die Abfahrt nach St. Leonhard nehme ich voll. Die Straße ist trocken. Die Bremsen greifen. Ich stürze mich hinunter. Überhole gleich mehrere Radfahrer. Weiter unten präsentiert sich die Straße als Speedstrecke. Perfekt ausgebaut. Gesperrt. Trotz Kurven kann ich eine millimetergenaue gerade Linie fahren. 

Jetzt wartet das worauf ich mich immer am meisten fürchte. Die Mauer von St. Leonhard mit ihrer dazugehörenden Hitze. Und siehe da, ich wurde nicht enttäuscht. Entlang der Mauer hat es an die 50 Grad. Ich entledige mich auch noch der Handschuhe.  Durch die Tunnels bis ins kleine beschauliche Dörfchen. Meine Geschwindigkeit hat jetzt Schnecken Niveau. Gerade noch schneller, als wenn ich mein Rad schieben müsste. Alles wirkt jetzt so langsam. Nach Moos eine Kehre und dann geht es noch steiler hinauf. Ich versuche gerade zu fahren. Neben mir zick zackt einer.

Als sich die Straße wieder vernüftigen Steigungsgraden nähert (das ist alles bis 10°) und die lange Gerade bis zur Labe nach Schönau sichtlich ist, beflügelt mich irgend etwas wieder. Ich kann Tempo aufnehmen und mich auf die letzten 11,9 km zum Timmelsjoch vorbereiten. An der Labstation selber wollte ich nicht stehen bleiben. Wollte. Ich holte mir noch eine Suppe.

Bald hast du einen Traum. Bald. Es werden wohl noch an die 60 Minuten sein. Die Straße hier ist in den Berg gemeiselt. Das Wetter mittlerweile ein Traum. Die Endzeit ist längst schon egal. Auf der Seeberalm, die allerletzte Labe, bleibe ich auch nochmals stehen. Gewaltig das Panorama und die Straße. Immer wieder. Ehrfürchtig blicke ich nach oben. 

Ich habe plötzlich wieder richtig Kraft. Die letzten 7 km bis zum Timmelsjoch sind psychisch ein Graus. Die Erlösung ist dann der Tunnel. Noch 1000 Meter bis zum Pass. Ich schalte auf Kette rechts. Nicht lang. Dann überquere ich die Zeitmessung und fliege Richtung Ziel. 

Es kommt zum Gegenanstieg. St. Pauli verliert an Boden. Steigt quasi ab ;-). Die letzten Höhenmeter. Ich nähere mich der Mautstelle. Es ist geschafft. Jetzt nur mehr heim. >80 km/h Spitzengeschwindigkeit erreiche ich hier von Hochgurgl Richtung Abzweigung Obergurgl/Sölden.

Einmal links. Einmal rechts. Und wir sind in Sölden. 1000 Meter Marke. Es geht rechts über die Brücke. Zeitmessung. Immaginäre Ziellinie. Aus. Fertig. Geschafft. 

Fazit:

Es war kalt. Es war nass. Es war langsamer als erhofft. Und zum Schluss hat’s Spass gemacht. Schade. So nehme ich den “Ötzi” mit guten Schlusserinnerungen mit.